Das Institut für jüdische Geschichte Österreichs lädt zu Einreichungen für die 27. Internationale Sommerakademie von 5. bis 7. Juli 2017 im Volkskundemuseum Wien ein.
Lange stand das Gedenken an den „Großen Krieg“ von 1914–1918 im Schatten der Gräuel des Zweiten Weltkriegs. Doch brachte das vollendete Jahrhundert genügend Impuls, sich in Forschung, Gedenken, Publikationen und Ausstellungen der Ereignisse, Erfahrungen und Folgen dieser erstmals weltweiten Kriegskatastrophe zu widmen. Allerdings standen nun nicht mehr hauptsächlich militärische, politisch-strategische und wirtschaftliche Aspekte im Vordergrund, sondern die buchstäblich leibhaftigen Erfahrungen der Millionen auf unterschiedliche Weise betroffenen Menschen. Unter ihnen machte die jüdische Bevölkerung zwar nur höchstens zehn Prozent der Gesamtbevölkerung der kriegsführenden Länder aus, doch lässt sich an ihr wie unter einem Prisma die ganze Bandbreite an Beteiligung und Auswirkung zeigen.
Jahrzehntelang nahm der Erste Krieg im Familiengedächtnis vieler Juden und Jüdinnen einen zweitrangigen Platz ein. Das Erinnern an im Feld gefallene Familienmitglieder, an Flucht, Vertreibung, Hunger und Verlust war durch die Katastrophe der Shoah überlagert worden. In den letzten Jahren gelangten erstmals in großer Zahl Feldpostbriefe, Fotos und Tagebücher aus den Familienarchiven in die Öffentlichkeit. Darauf fußend stellten die jüngsten Publikationen und Ausstellungen zu „Juden im Ersten Weltkrieg“ persönliche Erlebnisse und Handlungen, gemeindliche Initiativen, Wahrnehmungen, Deutungen, Erwartungen und Enttäuschungen in den Mittelpunkt ihrer Darstellungen. Damit gelangten auch Patriotismus und Kaisertreue, Kriegsbegeisterung und Heldenmut, Tapferkeit und Kameradschaftlichkeit, der Einsatz der Frauen, Wohltätigkeit und Hilfsbereitschaft, um nur einige Aspekte zu nennen, wieder in das kollektive Gedächtnis.
In der existenziellen Bedrängnis eines Kriegszustandes ist Religion nicht die wichtigste Kategorie; bedeutender sind neben Geschlecht, sozialem Stand und Alter die Lebensräume, in denen sich der oder die Betroffene bewegen muss. Daher schlagen wir für diese Tagung drei Schauplätze des Kriegsgeschehens vor – Feld, Heimatfront, Flucht – und stellen vor diesen Hintergründen jüdische und nichtjüdische Erfahrungen vergleichend gegenüber. „Erfahrung“ meint hier nicht nur das subjektive Erleben. Aus soziologischer Perspektive kommen in der Erfahrung subjektive und objektive Faktoren menschlicher Wirklichkeit zum Ausdruck, sie bedeutet einen ständigen Verarbeitungsprozess von Erlebtem, in dem Wahrnehmung, Deutung und Handeln ineinandergreifen. Denn Erfahrungen erzeugen Erwartungen, die im Fall von Enttäuschung wiederum die Erfahrung verändern. Damit verbinden sie Vergangenes mit der Zukunft und führen zu einem Erfahrungswandel, ein Vorgang, der sich gerade im Umgang mit dem Krieg, sowohl noch während seiner Dauer als auch danach, deutlich zeigt. Daher sollen als weitere Themenfelder auch dessen Verarbeitung in Presse, Literatur, Film und Kunst zur Sprache kommen.
Erfahrung von Krieg, Gewalt, Not und Zerstörung mag für Menschen gleich welcher Zugehörigkeit ähnliche Erfahrungen erzeugen, doch waren Juden und Jüdinnen, um nur zwei bekannte Phänomene zu nennen, zusätzlich doppelten Loyalitäten und antisemitischen Angriffen sowie einer Ausweitung des antisemitischen Repertoires ausgesetzt. Der vergleichende Zugang soll den Blick auf Parallelen, aber auch auf Unterschiede schärfen. Aufgrund der zur Verfügung stehenden Tagungszeit und der deutschen Konferenzsprache sollen Forschungen zum Deutschen Kaiserreich und zur österreich-ungarischen Monarchie bzw. ihren Nachfolgestaaten präsentiert werden, doch steht die Tagung auch für andere Verortungen offen. Vorträge zu fortgeschrittenen Dissertationsprojekten sind ausdrücklich willkommen.
Sechs Panels mit je drei bis vier Vortragenden (30 Min. Redezeit, 15 Min. Diskussion):
- Im Feld
- An der Heimatfront
- Auf der Flucht
- In Literatur und Presse
- In Film und Kunst
- Folgen des Krieges
Bitte richten Sie Ihren Vorschlag bis 11.12.2016 per E-mail an Dr. Sabine Hödl: office@injoest.ac.at
Quelle: http://www.injoest.ac.at/de/aktuelles/aktuelles.html#s244