Wie bäuerliche Familien sich und ihre Betriebe sehen, zeigt dieser Regionenvergleich.
Förderung
Amt der Niederösterreichischen Landesregierung - Abteilung Landentwicklung
Laufzeit
Oktober 2010 - Dezember 2011
Projektleitung
Mitarbeit
Sophie Tod
Beschreibung
Im heutigen Mainstream der Agrarwissenschaften wird Landwirtschaft oft als Funktion äußerer Gesetzmäßigkeiten verstanden. Boden-, Klima- und Reliefbedingungen, Produktpreise, agrarpolitische Rahmenbedingungen und so fort gelten als Faktoren, die betriebliche Agrarsysteme maßgeblich von außen her bestimmen. Folglich wird häufig die Innenseite von Agrarsystemen, das alltägliche Denken und Handeln der wirtschaftenden Akteure, ausgeblendet. Das Konzept der farming styles unternimmt einen Perspektivenwechsel, indem es von der Außen- zur Innenseite der Agrarstrukturen – zur strukturierten und strukturierenden Praxis der Akteure – schwenkt. System- und Akteurperspektive gelten dabei nicht als gegensätzliche, sondern einander ergänzende Blickwinkel auf ein und denselben Gegenstand. Diese Perspektive misst den Akteuren begrenzte, je nach Situation engere oder weitere Denk- und Handlungsmöglichkeiten zu.
Das Konzept der farming styles wurde von dem niederländischen Landsoziologen Jan Douwe van der Ploeg in einer Untersuchung über friesische Milchbauern entwickelt. Die Untersuchung zeigt, dass Bäuerinnen und Bauern in ihrer Wirtschaftspraxis nicht unmittelbar durch die von außen auf sie einwirkenden Strukturen bestimmt sind; demgegenüber folgen sie selbst unter ähnlichen Strukturbedingungen unterschiedlichen Praxisstrategien und prägen ihre Agrarsysteme auf vielfältige Weise. Trotz ähnlicher Bedingungen entscheiden sich manche HofbesitzerInnen für die Spezialisierung auf einen Betriebszweig, andere setzen auf mehrere Standbeine; manche verschulden sich durch Maschineneinkäufe in enormer Höhe, andere kommen ohne größere Schulden über die Runden; manche drängen mit allen Mitteln zur Betriebsvergrößerung, andere geben sich mit dem Status Quo zufrieden.
Diese unterschiedlichen Arten, Landwirtschaft zu betreiben, lassen sich zu Landwirtschaftsstilen zusammenfassen. Die Forschung über Landwirtschaftsstile möchte das Typische an der Vielfalt herauszuarbeiten, um die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten verstehen und erklären zu können. Es geht also zum einen darum, verschiedene Wirtschaftsstile voneinander zu unterscheiden; zum anderen geht es um den inneren Zusammenhang des Wirtschaftsstils, der eine Gruppe von LandbewirtschafterInnen auszeichnet. Ein Landwirtschaftsstil umfasst mehrere Aspekte, die eng miteinander verwoben sind:
- Erstens geht es um die Entwurf kohärenter Orientierungen ländlichen Wirtschaftens (symbolische Dimension);
- zweitens geht es um die Verhandlungen diese Orientierungen zwischen unterschiedlich mächtigen Akteuren in Betrieb, Familie und darüber hinaus (soziale Dimension);
- drittens geht es um die Umsetzung dieser Orientierungen in der Landbewirtschaftung. (materielle Dimension)
Ein Landwirtschaftsstil spannt sich als „sozio-technisches Netzwerk“ zwischen symbolischer, sozialer und materieller Dimension. Durch ihre Art zu wirtschaften nehmen Bäuerinnen und Bauern im symbolischen, sozialen und materiellen Raum bestimmte Positionen ein. Entscheidend ist, dass der Landwirtschaftsstil einen stimmigen Zusammenhang zwischen diesen Positionen bildet (Kohärenz). Zugleich wird er in der Selbst- und Fremdwahrnehmung von anderen Stilen unterschieden (Distinktion).
Das vorliegende Projekt knüpft an das gleichnamige FWF-Projekt über Familienlandwirtschaft in zwei niederösterreichiuschen Regionen von den 1940er zu den 1980er Jahren an und führt es in einigen Aspekten bis zur Gegenwart fort. Dabei liegt der Fokus auf der Entwicklung seit den 1970er Jahren. In einer Breitenanalyse werden anhand von 56 Betrieben in zwei Regionen, die auch Untersuchungsgegen-stand des FWF Projekts sind, Agrarsysteme und damit korrespondierende Landwirtschaftsstile rekonstruiert. In einer darauf aufbauenden Tiefenanalyse werden Agrarsysteme und korrespondierende Landwirtschaftsstile anhand von acht Fallbeispielen genauer untersucht. Das Projekt ist als Pilotstudie für eine größer angelegte Untersuchung von Agrarsystemen und korrespondierenden Landwirtschaftsstilen in Niederösterreich gedacht.
Projektpublikationen
- Sophie Tod, Landwirtschaftsstile in Niederösterreich 1970-2011. Projektbericht im Auftrag der Abteilung Landentwicklung des Amtes der NÖ Landesregierung (Rural History Working Papers 1), St. Pölten 2012. (1425 KB)
- Sophie Tod / Ernst Langthaler, Landwirtschaftsstile und Kulturlandschaften, in: Zoll+. Österreichische Schriftenreihe für Landschaft und Freiraum 21 (2012), 46-49.